Die Börsen haben – trotz Turbulenzen im Bankensektor – im Jahresverlauf bislang vor allem Stärke gezeigt. Während die Aktienmärkte eher Optimismus spiegeln, signalisieren die Anleihemärkte Rezessionsgefahren. Woran das liegt und wie die weitere Entwicklung einzuschätzen ist, erklärt Philipp Dobbert, Chefvolkswirt und Leiter der Vermögensverwaltung bei der Quirin Privatbank und quirion.
Schieflagen bei Banken haben im März den Aufschwung an den Börsen nur kurz gestoppt. Anfang Mai machten Schwierigkeiten bei regionalen Banken in den USA wieder Schlagzeilen. Gibt es doch eine Bankenkrise?
Die Frage ist, ob es eine Bankenkrise oder Krisen bei einzelnen Banken gibt. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Problem das Bankensystem allgemein betrifft, oder ob es sich lediglich um spezifische Probleme mit begrenzten Folgen handelt. Mir sieht es sehr nach Letzterem aus und der Markt scheint das bislang ähnlich zu beurteilen. Die Krisen der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse sind inzwischen kein Thema mehr. Auch die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten einiger Regionalbanken in den USA haben sich auf die breitere Entwicklung des Aktienmarkts bislang kaum ausgewirkt.
Wie die Probleme bei Banken scheint die verhaltene wirtschaftliche Entwicklung die Aktienkurse ebenfalls nicht ins Wanken zu bringen. Der DAX lief Mitte Mai auf neue Höchststände zu und in den USA kletterten wieder die Tech-Aktien. Ist das ein stabiler Aufschwung oder nur ein Strohfeuer?
Wie lange ein Aufschwung am Aktienmarkt anhält, kann im Vorhinein niemand sagen. Das weiß man immer erst im Nachhinein. Was man weiß, ist: Höchststände sind an den Aktienmärkten kein seltenes Phänomen, sondern die Regel. Der Trend am Aktienmarkt ist langfristig aufwärtsgerichtet. Was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft: An den Börsen zählt nicht der Blick in den Rückspiegel. Eine eher schwache wirtschaftliche Entwicklung ist im vergangenen Jahr in den Kursen vorweggenommen worden. Aktuell setzen die Märkte darauf, dass die Zinserhöhungen der Notenbanken allmählich auslaufen. Das ist insbesondere in den USA ein Kurstreiber und ein wesentlicher Grund für den positiven Trend bei Tech-Werten.
Die Zinsmärkte signalisieren aber gerade in den USA schon lange Rezessionsgefahren. Ist das kein Widerspruch zu steigenden Aktienkursen?
Der Anleihemarkt in den USA hat in der Tat bereits seit Monaten eine „inverse Zinsstruktur“, und auch in Deutschland ist das schon eine Weile der Fall. Das bedeutet: Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten haben eine höhere Rendite als Langläufer. Das war in der Vergangenheit oft ein Signal, dass es mit einem gewissen Zeitverzug zu einer Rezession kam. Ob das Signal erneut so zu interpretieren ist, lässt sich heute noch nicht sagen. Die Leitzinserhöhungen waren 2022 so dynamisch wie kaum je zuvor. Wenn dann die kurzfristigen Renditen so schnell steigen, hinken die langfristigen mehr oder weniger zwangsläufig hinterher. Selbst wenn es zu einer Rezession kommt, ist aber offen, wann das passiert. Von einer Verkehrung der Zinsstruktur bis zur Rezession verging in der Vergangenheit manchmal mehr als ein Jahr. Der Aktienmarkt wird nicht so lange stillstehen und abwarten.
Steigende Kurse gab es nicht nur an den Aktienmärkten. Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert gewonnen. Woran liegt das?
Im vergangenen Jahr hat der Kursrutsch des Euro gegenüber dem Dollar große Schlagzeilen gemacht. Nach unserer Einschätzung war der große Abstand zwischen den Leitzinsen der Währungsräume der wesentliche Grund für die Entwicklung. Nun sehen wir eine Normalisierung. Der Zinsabstand hat sich verringert und wird sich vermutlich noch etwas einengen.
Was bedeutet das für die Portfolios von quirion?
Länder sind in unseren Portfolios nach der jeweiligen Marktkapitalisierung gewichtet. Die USA haben dementsprechend ein hohes Gewicht. Im vergangenen Jahr haben unsere Portfolios von der Dollarstärke profitiert. Aber Währungsschwankungen fallen im Vergleich mit Schwankungsbreiten von Aktien in unseren Portfolios kaum ins Gewicht.
Was beeinflusst die Performance der Portfolios gerade stärker?
Unser Anleiheportfolio profitiert zurzeit vom Wiederanlageeffekt. Fällige ältere Anleihen mit niedrigeren Zinsen werden in den ETFs sukzessive durch neue mit höheren Zinsen ersetzt. Damit steigt auch die Endfälligkeitsrendite unseres Portfolios. Sie liegt derzeit bei 3,5 bis 4,0 Prozent. Endfälligkeitsrendite ist die zu erzielende Rendite, wenn Anleihen bis zur Fälligkeit gehalten werden. Weil quirion über Anleihe-ETFs investiert, verändert sich die Endfälligkeitsrendite laufend.
Und was ist mit dem Aktienportfolio?
Unser Aktienportfolio nimmt grundsätzlich den Aufschwung an den Aktienmärkten mit. Allerdings wirken zwei Faktoren aktuell belastend: Viele Emerging Markets entwickeln sich zwar wirtschaftlich positiv, aber die dortigen Aktienmärkte spiegeln das nicht wider. Und der Renditefaktor „Value“ ist im Zuge des Aufschwungs der Tech-Aktien wieder zurückgefallen, Nebenwerte („Small Caps“) sind auch betroffen. Langfristig sehen wir uns aber gut aufgestellt, nämlich so breit wie das kosteneffizient möglich ist. Weil wir uns so aufstellen, können wir in der Anlagestrategie auf Prognosen und Spekulationen über den Verlauf kurzfristiger Trends verzichten. Zwar entwickeln sich einzelne Märkte phasenweise auch mal besser als ein global gestreutes Portfolio. Doch im Verhältnis von Rendite und Risiko bleibt ein globales Portfolio der Geldanlage in Einzelmärkte langfristig überlegen.