Im Dezember hat die Europäische Zentralbank (EZB) zum vierten Mal in diesem Jahr die Leitzinsen gesenkt. Trotzdem ist das Zinsniveau noch recht hoch. Wie Leitzinsen Inflation, Wirtschaft und Märkte beeinflussen.
Mehr oder weniger Zins aufs Tagesgeld, Dämpfer oder Schub für Konjunktur und Kurse: Leitzinsänderungen können zahlreiche Effekte haben. Aber ihr Einfluss ist nicht so unmittelbar, wie man vielleicht denken könnte.
Im Fokus: Die Inflation
Die EZB will das Preisniveau mittelfristig auf einem Niveau von 2 Prozent halten. Und im Oktober lag die Inflation in der Eurozone bei ziemlich genau 2 Prozent. Zwei Jahre zuvor waren es noch 10,6 Prozent. Mit massiven Zinserhöhungen versuchte die EZB die Teuerung nachhaltig einzudämmen. Mission also erfüllt? „Da können wir uns noch nicht ganz sicher sein“, erklärt Philipp Dobbert, Chefvolkswirt bei quirion und der Quirin Privatbank. „Das entscheidet sich erst in den kommenden Monaten.“
Der Hintergrund: Die EZB kann die Preise nicht direkt beeinflussen. Mit ihren Instrumenten – vor allem mit den Leitzinsen – versucht sie indirekt die Gesamtnachfrage zu bremsen oder zu beleben. Das Kalkül: Bei höheren Zinsen ist es weniger attraktiv, Konsum auf Pump zu finanzieren, zu bauen, neue Maschinen zu kaufen oder zu expandieren. Sinkt die Nachfrage, sinken in der Regel auch die Preise. Bei niedrigeren Zinsen greifen Haushalte und Unternehmen dagegen eher auf Kredite zurück – ein Anreiz für mehr Nachfrage.
Zeitverzögerte Wirkung
Ökonomische Zusammenhänge sind aber nicht so verlässlich und unausweichlich wie physikalische Gesetze. Man weiß nie genau, ob und wann Haushalte und Unternehmen ihr Verhalten anpassen und wie sich das in den Preisen zeigt. „Das Wichtigste ist: Die Erwartung steigender Preise darf sich nicht verfestigen. Sonst verfestigt sich die Inflation“, unterstreicht Dobbert.
Im Oktober 2023 stand bei der Inflation in der Eurozone erstmals wieder eine 2 vor dem Komma. Im Juni begann die EZB dann, die Zinsen wieder zu senken. Zwar will sie verhindern, dass die Inflation erneut aufflackert. Aber sukzessive nimmt sie so den Fuß von der Bremse auf die wirtschaftliche Entwicklung.
Der Geldmarkt: ganz nah dran
Direkt betroffen von den Leitzinsen sind zunächst die Banken. Für sie ändern sich die Konditionen, um Geld über Nacht bei der EZB zu parken („Zinssatz für die Einlagefazilität“). Besonders schnell zeigen sich Leitzinsschritte am Geldmarkt, in dem Banken sich kurzfristig Geld beschaffen oder überschüssiges anlegen.
Spar- und Kreditzinsen: Banken entscheiden
Leitzinsen geben Spar- und Kreditzinsen einen Rahmen. In ihrer Geschäftspolitik sind Banken aber frei, einzelnen Zinsentscheidungen an Kundinnen und Kunden weiterzureichen. In der Regel schöpfen sie gerade bei Sparzinsen nicht das aus, was möglich wäre.
Ein Beispiel: Nach einer Untersuchung des Verbraucherportals Verivox zahlten überregionale Banken Mitte Juli bei Tagesgeld im Schnitt gerade einmal 1,69 Prozent Zinsen jährlich. Bei Sparkassen lagen die Durchschnittszinsen sogar nur bei 0,62 Prozent pro Jahr. Der Einlagezins der EZB lag zu diesem Zeitpunkt bei 3,75 Prozent.
Wer vom aktuell weiterhin hohen Zinsniveau profitieren will: Eine clevere Alternative zu Tagesgeld ist quirion Cash-Invest. Dieses Portfolio kombiniert ETFs auf verschiedene Segmente des Geldmarkts.
Richtungweisend für Anleihen
Kommen neue Anleihen auf den Markt, orientieren sich die Zinssätze in der Regel am jeweils aktuellen Zinsniveau. Das gilt umso mehr, je kürzer die Laufzeiten sind. Ein steigendes Zinsumfeld drückt in der Regel die Kurse älterer Anleihen, die dann unattraktiver werden. Ein sinkendes Zinsumfeld gibt den Anleihekursen dagegen tendenziell Impulse.
Auch da aber gilt: Solche Zusammenhänge sind nicht in Stein gemeißelt. Eine wichtige Rolle für die Anleihekurse spielen auch die Zinserwartungen. Die wiederum werden nicht nur von Zinsentscheidungen oder Aussagen von Notenbanken geprägt, sondern darüber hinaus von Inflations- und Konjunkturdaten.
Für Aktien ein Faktor unter vielen
Für die Aktienmärkte sind Änderungen bei den Leitzinsen nur einer von sehr vielen Faktoren, die Einfluss auf die Kursentwicklung haben können. Fallen Zinsentscheidung erwartungsgemäß aus, passiert meist nicht viel. Werden die Märkte dagegen überrascht, bewegt das auch die Kurse stärker. Dabei ist im Vorfeld nie klar, in welche Richtung, denn immer bleibt Spielraum für Interpretationen. „Fällt beispielsweise eine Zinssenkung größer aus als erwartet, kann man das als positives oder als negatives Signal auslegen“, erklärt Dobbert. „Eine große Zinssenkung erleichtert die Finanzierung stärker. Sie kann aber auch als Warnsignal dafür gesehen werden, dass die Notenbank größere Gefahren für die Konjunktur sieht.“
Die Kursentwicklung lässt sich im Vorhinein nie genau abschätzen. In der Anlagestrategie sollte man sich auf Spekulationen deshalb gar nicht erst einlassen, auch nicht zur Zinsentwicklung. „Besser ist, die Anlagestrategie prognosefrei zu halten und das investierte Geld möglichst breit zu streuen“, unterstreicht Dobbert. „Dieses Prinzip ist in jedem Zinsumfeld sinnvoll.“