Herr Kussmann, warum sollten Emotionen bei der Kapitalanlage keine Rolle spielen?
Privatanleger lassen sich zum Teil sehr stark von ihren Emotionen leiten. Sowohl erzielte Gewinne als auch aufgelaufene Verluste lösen Gefühle aus, die die Anlageentscheidungen beeinflussen. Es wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass das einen negativen Renditeeffekt gegenüber der am Markt möglichen Performance zur Folge hat. Das Bauchgefühl, das in vielen Lebensbereichen sehr wertvoll ist, schadet also nachweislich bei der Kapitalanlage. Hier sollten objektive Fakten zählen.
Es gibt eine Menge irrationaler Verhaltensweisen, die man besser vermeiden sollte. Was ist die häufigste, die Sie bei Privatanlegern beobachten?
In steigenden Aktienmärkten neigen Anleger zu höheren Aktienquoten, weil in diesen Phasen Risiken oft unterschätzt oder ganz ausgeblendet werden. Man meint dann, mögliche Verluste besser verschmerzen zu können. In stark schwankenden oder fallenden Märkten scheuen Anleger hingegen das Risiko und reduzieren ihre Aktienquoten. Dieses prozyklische Anlegerverhalten ist auch als sogenannter Herdentrieb bekannt. Es ist emotional getrieben und oftmals mit einem falschen Timing und Überschätzung der eigenen Fähigkeiten verbunden. Im Ergebnis erzielen diese Anleger eine niedrigere Rendite gegenüber einem Portfolio, das über die verschiedenen Marktphasen hinweg einfach investiert geblieben ist.
Oft ist auch vom „Home Bias“ die Rede. Was genau ist damit gemeint?
Home Bias beschreibt die bevorzugte Nähe zu Investments im Heimatmarkt, in unserem Fall Deutschland. Viele Anleger fühlen sich dort am sichersten und am besten informiert. Dies sollte aber nicht als Maßgabe dienen, wo der Großteil des Kapitals investiert wird. Denn das führt zu einer unzureichenden Diversifikation. Hier verursacht ein emotionaler Grund, die „Heimatliebe“, den anlagetechnischen Fehler einer mangelnden Portfoliomischung, die wiederum zu überproportionalen Renditeeinbußen führen kann.
Eine ausreichende Diversifizierung kann doch über viele einzelne Aktien erzielt werden, oder nicht?
Auch das ist ein Irrglaube. Viele Anleger denken, ihr Portfolio mit einer größeren Auswahl solider Einzelaktien ausreichend diversifizieren zu können. Der Verlust der einen Aktie könnte schließlich durch den Gewinn einer anderen ausgeglichen werden. Doch ein Risiko bei Einzeltitelanlagen besteht darin, zu lange an schlecht laufenden Aktien festzuhalten. Solange der Verlust nicht realisiert wird, scheint er weniger zu schmerzen, und der Glaube an eine Kurskorrektur überwiegt die rationalen Gründe, die für eine Verkaufsentscheidung sprechen. Man spricht hier auch von selektiver Wahrnehmung. Gleichzeitig wäre die Verlustrealisierung ein Eingeständnis, einst die falsche Investmententscheidung getroffen zu haben. Fehler einzugestehen, fällt oft auch in anderen Lebensbereichen schwer. Statt kleinere Verluste zu realisieren, klammern sich viele Anleger dann an die Hoffnung, irgendwann wieder zum Einstandskurs verkaufen zu können. Dieser Zeitpunkt kommt bei vielen Titeln dann aber nicht mehr und andere Titel können solche Verluste dann oft nicht mehr kompensieren.
Mit welcher Strategie lassen sich die psychologischen Stolpersteine überspringen?
Um sich weder von Marktschwankungen noch von Prognosen emotional verleiten zu lassen, empfehlen wir eine Orientierung an den globalen Kapitalströmen, das heißt, man legt sein Geld so an, wie es weltweit tatsächlich verteilt ist. So liegen zum Beispiel an den Aktienmärkten weltweit rund 85 Prozent in Industrieländern und rund 15 Prozent in Schwellenländern. Wer analog dazu sein Depot aufstellt und gewichtet, verhindert viele psychologische Fallen und vermeidet unnötig überhöhte Einzeltitel-, Branchen- und Länderrisiken. Grundvoraussetzungen für eine solche Marktstrategie sind Disziplin und Durchhaltevermögen. Beim langfristigen Vermögensaufbau sollten Sie sich daher nicht vom Tagesgeschehen an den Kapitalmärkten leiten lassen. Eine einmal gewählte Strategie sollte daher nicht vorschnell aufgegeben werden, denn das kostet meist Rendite.
Was bedeutet das für den „heimatliebenden“ deutschen Anleger?
Wahrscheinlich eine Reduzierung seiner Gewichtung in deutsche Aktien. Lediglich drei Prozent des weltweiten Aktienkapitals werden in deutsche Aktien investiert. In den meisten deutschen Depots dürfte diese Gewichtung deutlich höher liegen. Die Entscheidung, wie hoch deutsche Aktien gewichtet sein sollten, sollte der Markt treffen. Angebot und Nachfrage bestimmen das quasi automatisch und meist auch effizienter als zum Beispiel aktive Fondsmanager. Erhöht sich der Anteil deutscher Aktien am weltweiten Börsenkapital irgendwann auf fünf oder sechs Prozent, würde sich auch unsere Empfehlung der Gewichtung entsprechend erhöhen. Völlig wertfrei und einer rationalen Anlagestrategie folgend.
Wie vermeiden professionelle Anleger wie die Portfoliomanager von quirion, dass ihre Emotionen überhand nehmen? Es sind schließlich auch nur Menschen.
Professionelle Anleger verschreiben sich klaren Regeln. Wir verbannen zum Beispiel konsequent Prognosen oder Spekulationen aus den Anlageentscheidungen und orientieren uns an den beschriebenen Kapitalmarktströmen. Das nimmt die Emotionen aus den Anlageentscheidungen. Gleichzeitig benötigen wir die beschriebene Selbstdisziplin, gerade in schwankenden Marktphasen nicht von der Strategie abzuweichen. Das gelingt Profis deutlich besser als privaten Anlegern.
Es gibt sehr viele Studien darüber und alle belegen einen negativen Renditeeffekt. Im sogenannten Dalbar Report (Ausgabe 2018) wurden beispielsweise die Jahresrenditen des breiten Marktes (gemessen an repräsentativen Aktien- und Anleihe-Indizes) mit einem ausgewogenen Privatanlegerdepot über 20 Jahre hinweg verglichen. Im Unterschied zum Markt schnitt das Anlegerdepot durchschnittlich um rund drei Prozent pro Jahr schlechter ab. Das ergibt über die lange Laufzeit ein Vermögen. Die Hauptgründe dafür waren falsches Timing, mangelnde Diversifikation und hohe Kosten in der Geldanlage des Privatanlegers.
Wie können Privatanleger das vermeiden und sich stattdessen die Marktrendite sichern?
Die notwendige Basis zur Sicherung der Marktrendite ist aus unserer Sicht die Prognosefreiheit der Anlagestrategie. Bei aller Expertise, die zweifelsfrei bei aktiven Fondsmanagern vorhanden ist, bleibt jede Prognose nur eine Annahme für eine zukünftige Entwicklung und ist aus unserer Sicht immer unsicher und reine Spekulation. Zudem sollte der Anlagehorizont bei Aktieninvestments mindestens fünf, besser zehn Jahre betragen. Doch das Wichtigste für den langfristigen Erfolg ist, eine Strategie festzulegen, die zum Anleger passt. Dabei sollte die Gewichtung von Aktien und Anleihen – neben dem Anlagehorizont – insbesondere durch die Renditeerwartung und Verlusttoleranz des Anlegers bestimmt werden und nicht durch Markteinschätzungen oder das Auf und Ab der Märkte beeinflusst werden. Denn nur so kann der Anleger auch in Schwächephasen seine Strategie durchhalten und am Ende die Marktrendite einfahren.
Die häufigsten Stolpersteine in der „Anlegerpsychologie“ im Überblick:
- Herdentrieb
Kauf- und Verkaufsentscheidungen werden prozyklisch, analog zu den Schwankungen am Markt getroffen. In steigenden Märkten wird gekauft und in fallenden Märkten verkauft.
Risiko: falsches Timing und erhöhte Kostenbelastung durch vermehrte Transaktionen
- Home Bias
Anlagen im Heimatmarkt werden aufgrund der gefühlten höheren Sicherheit übergewichtet. Risiko: unzureichende Diversifikation
- Selektive Wahrnehmung
Anleger vermeiden es, Verluste zu realisieren und einst für gut befundene Werte aus dem Depot zu entfernen.
Risiko: Verluste vergrößern sich weiter und der Einstandskurs wird nie wieder erreicht.
- Überschätzen der eigenen Fähigkeiten
Sehr aktive Anleger überschätzen oft ihre eigene Leistung. Sie halten sich beim Timing für den Ein- und Ausstieg und der Selektion von Anlagen für sehr erfolgreich.
Risiko: Mangelnde Diversifikation und falsches Timing schmälern die Rendite. Durch unnötig viele Transaktionen steigt die Kostenbelastung.
Niemand kann Aktienkurse treffsicher vorhersehen. Und daher können mit Prognosen arbeitende Fondsmanager den Markt nicht dauerhaft schlagen. Das intelligente Anlagekonzept von quirion basiert auf fundierten Erkenntnissen der Kapitalmarktforschung und nicht auf Vorhersagen. Wir setzen zum einen auf kostengünstige Indexfonds, die wir abhängig von Ihrem Risikoprofil zu einem optimalen Portfolio zusammenstellen. Zum anderen gewichten wir in Ihrem Portfolio attraktive Wertpapiere höher als andere. Attraktiv sind für uns Substanzwerte (Aktien mit hohen bilanzierten Vermögenswerten) und Nebenwerte (Aktien mit kleiner Marktkapitalisierung). Risiken begrenzen wir durch strategisches Risikomanagement.
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