Aus der Kapitalmarktforschung gibt es viele Erkenntnisse, die bei der Geldanlage helfen. Doch sie dringen nur langsam zu einem breiteren Publikum durch. Warum das so ist und welche Einsichten sich ganz einfach anwenden lassen, erklärt Dr. Stefan May, emeritierter Professor für Finanzmarktanalyse und Portfoliomanagement an der Hochschule Ingolstadt und Leiter der Anlagestrategie und Produktentwicklung bei der Quirin Privatbank und bei quirion.
Die Kapitalmärkte werden in der Wissenschaft schon seit Jahrzehnten erforscht. Was sind aus Ihrer Sicht besonders wichtige Einsichten?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass gerade in der Kapitalmarktforschung Theorie und Empirie geradezu beispielhaft ineinandergreifen. Doch kaum jemand in der breiteren Öffentlichkeit weiß, dass sich aus den dadurch gewonnenen theoretischen und empirischen Erkenntnissen ziemlich klar ableiten lässt, was bei einer Geldanlage sinnvoll ist. Eines der wichtigsten Ergebnisse überhaupt ist die Unterscheidung zwischen unsystematischen und systematischen Risiken. Unsystematische Risiken beziehen sich auf ein bestimmtes Unternehmen, eine bestimmte Branche oder eine bestimmte Region. Ein Unternehmen kann pleitegehen, eine Branche an Relevanz verlieren, eine Region in eine politische Krise geraten. Das systematische Risiko ist quasi das Restrisiko, das übrigbleibt, wenn alle diese unsystematischen Risiken durch eine intelligente globale Streuung der Anlagen („Diversifizierung“) gewissermaßen weggedrückt wurden. Was dann noch übrig bleibt ist das systematische Risiko, also das der allgemeinen Marktentwicklung; aber nicht irgendeines lokalen Marktes, sondern wirklich des Weltmarktes.
Und nur wer diese systematischen Risiken eingeht, darf eine „Prämie“ erwarten, nämlich die Marktrendite. Unsystematische Risiken einzugehen, bringt in der Regel nichts, denn es wird langfristig eben nicht mit einer Prämie „entlohnt“. Es passiert zum Beispiel gar nicht so selten, dass einzelne Unternehmen vom Markt verschwinden. Dass der Weltmarkt selbst verschwindet, ist im Grunde ausgeschlossen – es sei denn, man geht davon aus, dass die Marktwirtschaft an sich abgeschafft wird.
Was bedeutet das für die Geldanlage?
Wer unsystematische Risiken ausschließen will, muss möglichst breit über Unternehmen, Branchen und Weltregionen hinweg streuen. Das ist heute wesentlich einfacher als vor der Erfindung von ETFs. Niemand muss für den privaten Vermögensaufbau am Aktienmarkt heute mehr das Risiko wagen, in einzelne Aktien zu investieren. Leider wird das oft nicht beherzigt. Das liegt auch an einschlägigen Medien und interessierten Banken, die kontinuierlich mit Hinweisen auf vermeintliche Renditeperlen locken. Doch mit Einzelinvestments holt man sich eben das Risiko eines Totalverlusts ins Depot. Das ist zwar selten, kommt aber immer wieder vor. Man denke nur an Wirecard.
Wenn ich streuen will, stehen dafür mehrere Möglichkeiten bereit: Aktiv gemanagte Fonds, zum Beispiel …
Aktives Management ist der Versuch, über eine spezielle Auswahl von Wertpapieren oder das Abpassen vermeintlich idealer Zeitpunkte für Ein- und Ausstieg die Marktrendite zu übertreffen. Im Durchschnitt und langfristig kann das nicht systematisch und regelmäßig funktionieren. Denn dafür müssten die Fondsmanager die Zukunft kennen. Das tun sie natürlich nicht – und deshalb bleibt es bei Zufallstreffern. Wenige Ergebnisse der Kapitalmarktforschung sind so eindeutig belegt. An liquiden Aktien- und Anleihemärkten wie in Europa, den USA und in zahlreichen Emerging Markets bringt aktives Management nichts außer Zufallserfolgen.
Und trotzdem haben aktiv gemanagte Fonds immer noch eine sehr dominante Stellung bei den Anlegerinnen und Anlegern. Aus Sicht der Wissenschaft kann ich das nicht nachvollziehen.
Warum werden diese Erkenntnisse dann nicht häufiger berücksichtigt?
Ein wichtiger Grund ist sicher das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten. Aktive gemanagte Fonds erzielen oft Verwaltungsgebühren zwischen 1,6 und 1,8 Prozent pro Jahr, manchmal sogar noch mehr. Bei ETFs liegen die Kosten dagegen so um die 0,2 bis 0,5 Prozent pro Jahr. Solche Unterschiede muss man dann schon sehr gut begründen. Dazu kommt, dass manche Anlegerinnen und Anleger einfach gerne daran glauben möchten, dass ein vermeintlich besonderes Expertenwissen der Fondsmanager auch zu besonderen Ergebnissen führt. Vordergründig klingt das ja auch logisch, ist es aber letztlich nicht.
Aktiv gemanagte Fonds bringen im Durchschnitt weniger Rendite als sogenannte „passive“ Strategien, denn langfristig machen sich die Kostenunterschiede in der Rendite sehr negativ bemerkbar. Das wissen übrigens Profi-Anleger aus dem institutionellen Bereich ganz genau. Dort haben Banken es mit Leuten zu tun, die sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen eingehender beschäftigt haben. Denen können sie dann nicht so einfach etwas vormachen.
Sie selbst waren bis zum Juli dieses Jahres nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Leiter des Anlagemanagements bei der Quirin Privatbank und bei quirion. Warum haben Sie diese Aufgabe abgegeben?
Die Zeit war reif, den Staffelstab im operativen Geschäft an meine jüngeren Kollegen Philipp Dobbert und Arndt Kussmann weiterzureichen. Ich bleibe der Quirin Privatbank und quirion aber weiter als Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung erhalten. Das gibt mir die Möglichkeit, auch weiterhin die Erkenntnisse der Finanzmarktforschung in unsere Bank einzubringen – wie schon seit vielen Jahren.
Was sagt die Wissenschaft denn zu digitalen Vermögensverwaltungen wie quirion?
Im Prinzip gelten für digitale Vermögensverwaltungen beziehungsweise für sogenannte Robo-Advisor keine anderen Regeln als auch sonst bei der Geldanlage. Man braucht eine geeignete Anlagestrategie. Dabei gilt: Prognosen sind dafür keine geeignete Basis. Es gibt keinen Menschen aber auch keinen Algorithmus, der die Zukunft an den Finanzmärkten verlässlich voraussagen könnte. Um das Verhältnis von Rendite und Risiko zu optimieren, muss deshalb möglichst breit gestreut werden – idealerweise in einem Weltportfolio, wie es eben der Ansatz bei quirion ist.
Um ein solches Weltportfolio nach wissenschaftlichen Kriterien – und möglichst günstig – aufzustellen, ist schon ein gewisser Aufwand nötig. Einzelindizes und darauf basierende ETFs, so gut diese Produkte ansonsten sind, bilden immer ungewollte und unkontrolliert wechselnde Schwerpunkte. So schleichen sich dann gewisse unsystematische Risiken wieder ein. Wir haben vor einiger Zeit fünf Faktoren identifiziert, die maßgeblich zur Marktrendite beitragen und anhand derer wir wissenschaftlich diversifizieren. Alle Marktstrategie-Portfolios von quirion sind entsprechend aufgestellt. Sie entsprechen also ganz den Erkenntnissen der Kapitalmarktforschung.